Personal Finance

Stressteste dich für die Rezession

Die Sonne scheint, die Lock-downs werden gelockert, und dann läuft alles schnell wieder so weiter wie vor der Corona-Krise. Oder vielleicht doch nicht?

Aufgrund der vielen Fragezeichen, die wahrscheinlich die meisten von uns zur kurz- und mittelfristigen wirtschaftlichen Entwicklung haben, poste ich heute einen Auszug aus einem Artikel, den ich ursprünglich Ende August 2019 geschrieben habe. Den kompletten Post findest du hier.

 

Habe ich ein déjà-vu?

Seit ein paar Monaten sehe ich Entwicklungen, die mich im Rückblick an die Jahre 2007/2008 erinnern. Damals sind mir diese Signale nicht aufgefallen. Oder ich habe nicht weiter darüber nachgedacht. Dementsprechend unangenehm bin ich im Herbst 2008 von der Kündigung meines Jobs überrascht worden. Fast zeitgleich ist die Agentur, in der mein Mann arbeitet, durch die x-te Übernahme gegangen. Das hätte sehr leicht auch mit dem Verlust seines Jobs einhergehen können. 

Glücklicherweise ist dies nicht passiert. Und auch ich konnte nahtlos einen neuen Job finden. Bei richtiger Deutung der wirtschaftlichen Gesamtsituation wären wir aber weniger von glücklichen Umständen abhängig gewesen. Und wir hätten mit besserer Vorbereitung die Chancen des Aktiencrashs 2008/09 nutzen können – das hätte uns auf dem Weg zu finanzieller Unabhängigkeit um Jahre nach vorne gebracht. 

 

Mach einen Rezessions-Stresstest

Deshalb mein Tipp: mach doch einfach mal einem gedanklichen “Rezessions-Stresstest” für deine persönliche Situation. Wenn du dabei Schwächen feststellst, kannst du aktiv gegensteuern. Und das deutlich rationaler, als wenn du so wie ich in einer Rezession von einer Kündigung überrascht wirst. 

Du liest ja auf diesem Blog, weil du dich für das Thema finanzielle Unabhängigkeit interessierst. Vielleicht bist du auch schon die ersten Schritte gegangen. Der “Stresstest” soll sicherstellen, dass du das, was du dir gerade aufbaust oder schon aufgebaut hast, auch bei einem wirtschaftlichen Abschwung möglichst wenig gefährdest. 

 

Mach deine Finanzen rezessionssicher, Schritt 1: Deine Arbeitsstelle und dein Einkommen – wie sicher ist dein Cash-Flow?

Idealerweise behältst du dein normales Einkommen, deine Ausgaben sind deutlich niedriger, und du kannst weiterhin sparen und investieren. Du wärst nicht in deiner Existenz gefährdet, solange dein Einkommen deine Ausgaben nachhaltig deckt. Für eine gewisse Zeit könntest du Ausgaben auch aus Rücklagen decken, siehe nächster Punkt. An dieser Stelle ist dir wahrscheinlich schon klar, warum niedrige Fixausgaben vorteilhaft, und Konsumschulden keine gute Idee sind.

 

Mit diesen Fragen kannst du dich Stress-testen:

  • Wie sicher ist dein Arbeitsplatz? Wenn du verbeamtet bist, hast du hier natürlich das große Los gezogen. Ansonsten ist die Branche relevant, in der du arbeitest. Ist sie sehr konjunkturabhängig oder nicht (Beispiel Maschinenbau versus Energieversorger)? 
  • Innerhalb einer Branche gibt es stärkere und schwächere Player – wie steht dein Arbeitgeber im Wettbewerbsumfeld da (oder deine Kunden, wenn du selbständig bist)?
  • Arbeitest du in einer Aktiengesellschaft oder gehört deine Firma zu einer internationalen Holding, die an der Börse gelistet ist? In diesem Fall gibt es einen zusätzlichen Kostendruck (= Druck, Arbeitskräfte abzubauen) aus dem Kapitalmarkt. Wie hat dein Arbeitgeber in vergangenen Rezessionen agiert?
  • Bist du noch in der Probezeit? Hast du einen Zeitvertrag? Hast du einen unbefristeten Vertrag? Hast du einen Geschäftsführervertrag, für den die normalen Arbeitnehmerrechte nicht gelten?
  • Wie lange arbeitest du schon im Unternehmen? Würden sich deine persönliche Umstände im Falle einer Sozialauswahl bei betriebsbedingten Kündigungen günstig auswirken (Dauer der Betriebszugehörigkeit, höheres Alter, unterhaltsberechtigte Kinder, Schwerbehinderung)?
  • Hättest du gegebenenfalls Anspruch auf eine Abfindung? In welcher Höhe?
  • Wie werden deine Leistungen von deinen Vorgesetzten eingeschätzt? Wie sah deine letzte Bewertung aus? (Übrigens keine Garantie: ich habe relativ kurz bevor meine Arbeitsstelle weggefallen ist, noch eine sehr gute Performance-Bewertung und eine Gehaltserhöhung bekommen)
  • (Wie) kannst du dich durch Engagement oder Beziehungen so unentbehrlich machen, dass du der/die letzte bist, auf den/die deine Vorgesetzten verzichten wollen?
  • Ist deine Qualifikation so begehrt, dass du auch in einer Rezession ohne fremde Hilfe kurzfristig einen neuen Job finden könntest?
  • Hast du ein gut gepflegtes Netzwerk, über das du auch in einer Rezession schnell einen neuen Job finden könntest?

 

Mach deine Finanzen rezessionssicher, Schritt 2: Dein Sicherheitsnetz – hast du genug Rücklagen aufgebaut?

Wenn du in Deutschland wohnst, sozialversicherungspflichtig beschäftigt bist und bestimmte Mindestanforderungen erfüllst, kannst du bei Verlust deines Arbeitsplatzes Leistungen der Arbeitslosenversicherung in Anspruch nehmen. Als Selbständiger hast du dich wahrscheinlich nicht arbeitslosenversichert. Da du im Fall der Fälle Arbeitslosengeld erst einmal beantragen musst, und die Leistungen frühestens am Ende des Monats nach Antragstellung ausgezahlt werden, brauchst du auf jeden Fall eine Rücklage. Je weniger Leistungen dir zustehen, desto größer solltest du deine Notfall-Rücklage kalkulieren.

Ziel ist, dass du auch bei vorübergehendem Verlust deines Einkommens nicht in die Situation kommst, deine Investitionen auflösen zu müssen. Es gibt zwar keinen direkten Zusammenhang zwischen einer Rezession und dem Crash von Aktien- und Immobilienmärkten. Aber es gibt auch keine Garantie, dass es nicht zumindest zu größeren Korrekturen kommt. Und dann können die Verluste bei einem Verkauf deutlich höher sein, als die Opportunitätskosten für risikofrei gehaltene Beträge. 

Zur Anlage des Notfall-Polsters gibt beziehungsweise gab es in der Community auch abweichende Meinungen, siehe zum Beispiel dieser Post . Allerdings ist Karsten von “normalen” Notfällen wie einer kaputten Waschmaschine oder einer großen Autoreparatur ausgegangen, die bei entsprechend hohen Gehältern aus dem Anteil gezahlt werden können, der eigentlich als Sparrate vorgesehen ist. Und der Post wurde zu einem Zeitpunkt geschrieben, als es keinerlei Rezessionssignale gab. Ich würde aber weder unsere persönliche Notfall-Rücklage noch die Rücklagen für unsere vermieteten Immobilien mit einem Risiko anlegen, das über dem eines Tagesgeldkontos liegt.

 

Mit diesen Fragen kannst du dich Stress-testen:

  • Hast du in den vergangenen 24 Monaten mindestens 12 Monate in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt?
  • Wie hoch ist dein Anspruch auf Arbeitslosengeld I? (Achtung, die Arbeitslosenversicherung zahlt einen rechnerischen Nettobetrag, und den auch nur bis zur Beitragsbemessungsgrenze, einen Rechner findest du hier).
  • Wie lange hättest du Anspruch auf Arbeitslosengeld I? (Standard 6 bzw. 12 Monate, ab 50 Jahre 15 Monate, ab 55 18 Monate, Abzüge bei freiwilligem Aufhebungsvertrag)
  • Wie hoch sind deine eigenen finanziellen Reserven? Genug um 3 Monate deiner notwendigen Ausgaben abzudecken? 6 Monate? 1 Jahr?
  • Brauchst du zusätzliche Reserven, weil du in Kapitalanlage-Immobilien investiert hast, bei denen schon Sonderumlagen geplant sind oder kurz- bis mittelfristig auf dich zukommen könnten?
  • Hast du deine Notfall-Reserve so angelegt, dass du sie im Notfall auch wirklich schnell liquidieren kannst?
  • Wenn deine Notfall-Reserve noch nicht groß genug ist: wie schnell kannst du sie aufstocken?

 

Mach deine Finanzen rezessionssicher, Schritt 3: Deine Investitionen – entspricht deine Asset-Allokation deinem Risikoprofil?

Selbst wenn du dich bei den beiden ersten Punkten gut aufgestellt fühlst, solltest du an dieser Stelle deine Risikotoleranz noch mal ehrlich überprüfen. Wenn deine Asset-Allokation nicht deiner Risikotoleranz entspricht, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass du während einer scharfen Korrektur oder eines Crashs Assets verkaufst – und dann Verluste realisierst. Vielleicht hast du diese Erfahrung auch gerade schon gemacht.

Wir reden hier nicht von Spekulation, bei der es natürlich Sinn macht, Verluste zu begrenzen. Sondern von Langfrist-Anlage, bei der gerade für junge Anleger Korrekturen eine willkommene Nachkauf- aber auf keinen Fall eine Verkaufsgelegenheit sein sollten. Nach meiner Einschätzung ist das Durchhalten für Anleger, die in breite ETFs investieren, psychologisch deutlich leichter: Sie können sich selber mit dem Argument überzeugen, dass ein kompletter und dauerhafter Zusammenbruch aller Aktienmärkte sehr unwahrscheinlich ist. Die gleiche Argumentation fällt bezogen auf eine Einzelaktie tatsächlich schwerer.

 

Mit diesen Fragen kannst du dich Stress-testen:

  • Wie sieht deine Asset-Allokation rechnerisch aus? Welche Anteile hältst du in welchen Anlageklassen?
  • Hast du Geld in P2P investiert? In Kryto-Währungen? In Real Estate Crowdfunding? In welche Risikoklasse ordnest du das ein? Würde auch ein Investor, der 20 Jahre mehr Erfahrung hat als du das so einordnen? Wenn ja, warum? Wenn nein, warum nicht?
  • Hast du wirklich nur Geld mit höherem Risiko investiert, das du in den kommenden 10 Jahren nicht brauchst?
  • Mit wie viel war dein Depot bis dato maximal im Minus? Wie hat sich das angefühlt?
  • Wie oft hast du während des letzten Crashs in dein Depot geschaut? Hast du nachgekauft? Warst du in Versuchung Aktien oder ETFs zu verkaufen? Hast du Aktien oder ETFs verkauft? Warum? 
  • Falls du die folgenden Schwellen bis jetzt nicht erreicht hast: Stell dir vor, dein Depot-Konto ist mit 30% im Minus. Mit 50%. Bau diese Werte in das Chart ein, in dem du dein Netto-Vermögen trackst. Wie fühlt sich das an? Was wären deine nächsten Schritte, wenn diese Situation tatsächlich eintreten sollte?
  • Hast du dein Risiko über Kredithebel erhöht? Dies ist zum Beispiel bei fremdfinanzierten Immobilien relevant. Ich habe hierzu auch etwas in meinem Post zum aktuellen Immobilien-Hype geschrieben.
  • Wie sieht deine Cashflow-Rechnung aus, wenn du in vermieteten Wohnungen mehr Leerstand hast, als aktuell eingeplant?
  • Musst du eine Wohnung verkaufen, wenn deine Bank sie bei fallenden Immobilienpreisen nur noch 30% niedriger bewertet als bei der Vergabe des Kredits und eine Ausgleichszahlung von dir fordert?

 

Wenn du dich ehrlich mit diesen Fragen auseinandersetzt und entsprechende Konsequenzen ziehst falls nötig, solltest du gut auf eine Rezession vorbereitet sein. 

Also: prepare for the worst, hope for the best, und mach deinen persönlichen Rezessions-Stresstest.

 

Katrin / Financial Independence Rocks.

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