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Ist Suze Orman der Antichrist?

In den letzten Wochen hat ein Thema in der FIRE-Community in den USA hohe Wellen geschlagen. Und ich meine RICHTIG HOHE WELLEN. Was war der Aufreger?

Die selbst ernannte ‚Matriarchin der Welt des Geldes‘, Suze Orman, war zu Gast auf Paula Pant’s ‚Afford Anything‘ Podcast. Es sollte eigentlich ein Interview sein. Das war es nicht so wirklich, dazu später mehr. Falls dir der Name Suze Orman nichts sagt: Sie ist eine sehr bekannte Figur in der Welt der populären US Finanzberater. Sie hat mehrere Bücher geschrieben, hatte ihre eigene TV-Show, hat jede Menge Geld verdient, und sich in 2015 auf ihrer privaten Insel zur Ruhe gesetzt. Es gab wohl eine gewisse zeitliche Koinzidenz mit schlechter  PR rund um eine von ihr beworbene Kreditkarte, die offenbar nicht so vorteilhaft und kostenoptimiert für die Benutzer war, wie es sich angehört hatte.

Rückkehr der Matriarchin der Welt des Geldes

Suzie Orman ist inzwischen 67 alt und aus der Versenkung wieder aufgetaucht, um ihre Fans mit einem neuen Buch zu beglücken. Aktuell ist sie auf Promotion Tour für das Buch. Das mag ein Teil der Erklärung für das doch eher bizarre Spetakel auf Paula Pant’s Podcast sein. Du solltest dir den Podcast selber anhören. Aber ich fass es hier grob für dich zusammen.

Statt des vorgesehenen Interviews war ihr Auftritt eher ein Monolog. Es gab in der FIRE-Community teilweise Kritik an Paula Pant, weil sie nicht stärker in Suzes Tirade hineingegangen ist und nicht wirklich kritisch nachgefasst hat. Ich stimme dieser Kritik nicht zu. Und ich glaube nicht, das dieses Interview sich positiv auf die Markenbeliebtheit von Suze Orman ausgewirkt hat. Suze hat inzwischen ihre Ausführungen “qualifiziert”. Insofern tippe ich mal, dass sie und/oder ihre PR-Berater ein ähnliches Gefühl hatten.

ICH HASSE SIE, ICH HASSE SIE, ICH HASSE SIE

Vielleicht hätten Suze Orman und die Community einen besseren Start gehabt, wenn auf Paulas’s Einstiegsfrage, ob sie die FIRE-Bewegung kennt, beim “ja, natürlich” Schluss gewesen wäre. Aber im selben Atemzug kam: “und ich hasse sie, ich hasse sie, ich hasse sie’. Klar, das war natürlich eine krasse Einstimmung. Einige haben spekuliert, dass dieses provokative Statement voll beabsichtigt und Teil von Suze’s PR-Strategie war. Ich denke, man kann davon ausgehen, dass dies zumindest zum Teil zutrifft. Wenn man mediale Aufmerksamkeit erzeugen will, sind provokative Aussagen für Schlagzeilen super.

Aber vielleicht ist ein weiterer Grund auch ganz einfach, dass Suze Orman inzwischen immerhin 67 Jahre alt und gerade erst wieder ins Geschäft eingestiegen ist. Wenn man dann bedenkt, dass das Interview bei Afford Anything das 7. seit dem Morgen war, ist das merkwürdige Kick-off vielleicht auch einfach einem sehr langen Tag geschuldet  Ich habe mich sogar gefragt, ob Suze vielleicht zu Paula’s Involvement in die FIRE-Community nicht richtig gebrieft wurde. Sie steht ja sehr stark für das Thema Immobilien. Aber das kann so sein oder auch nicht.

Ein Körnchen Wahrheit?

Und, fair genug, hat Suze Orman dann Paula auch erklärt – eh, belehrt- warum sie FIRE hasst.

DINGE PASSIEREN.

Und wenn du 20, 30, 90 Millionen hast – Zitat Suze: “Sei wie ich” – dann kannst du vielleicht mit diesen Schicksalsschlägen umgehen.

SONST. NICHT.

Wenn du nicht in der Lage bist, 2,5 Millionen Dollar für die Langzeit-Pflege eines Elternteils auszugeben, machst du etwas falsch. Nach Suzes Aussage sind ein oder zwei Millionen Ertrag bringende Investments einfach nicht genug.

Dass Suze Orman genau diese Bandbreite von Investments runtergemacht hat, dürfte viele in der FIRE-community ins Mark getroffen haben. Zahlen um eine Million Dollar in Investments WERDEN auf FIRE-blogs tatsächlich häufig als absolut ausreichend beschrieben, wenn man einigermaßen genügsam lebt. Und genau deshalb würde ich vorschlagen, die Emotionen mal ein bisschen rauszunehmen und ihre Einwände rational zu betrachten. Wir reagieren schon besonders stark und emotional, wenn eine Kritik ein Körnchen Wahrheit enthält, oder?

Bist du wirklich sicher, dass du ohne Privatjet auskommst

Ich kann das für mich nur bestätigen. Im Sommer gab es auch in der deutschen FIRE-Community einen Aufschrei. Gerd Kommer, Finanzberater Ende 50, der in der Community durch seine Bücher über Investieren mit ETFs sehr bekannt ist, behauptete dass FIRE eine Illusion ist (Ich glaube, dass sein Post nach dem ersten Erscheinen signifikant überarbeitet wurde) Auch dieser Post war sicher Teil der Marketingstrategie. Gerd Kommer hatte gerade seine eigene Investment-Boutique eröffnet, nachdem er aus der Londoner Finanzbranche ausgestiegen war. Mich haben an seinem Post der ätzend herablassende und teilweise sogar beleidigende Ton gestört. Gerd Kommer kannte sich zumindest zu dem Zeitpunkt mit der FIRE-Bewegung wohl doch nicht so richtig aus. Es gab daher Fehler in seiner Argumentation. Und bis zu einem gewissen Punkt fühlte auch ich mich persönlich angegriffen.

Es gibt noch eine Gemeinsamkeit zwischen Suze Orman und Gerd Kommer: Das “Genug” der beiden scheint sich auf einem deutlich anderen Niveau zu bewegen als das einer Mehrheit der FIRE-Bewegung. Was Suze angeht, ist das Niveau SEHR anders – bist du sicher, dass du ohne eine Privatinsel und einen Privatjet auskommen kannst? Ich glaub, nicht, dass meine Freunde vom Kaliber Oprah dir da zustimmen würden, du Dummerchen.

Aber das zeigt eigentlich nur, wie weit entfernt Suze Orman vom Leben der “breiten Masse” ist, die ihre Bücher kaufen soll. Ich kann mir vorstellen, dass ihre völlig abgehobenen Zahlen nicht nur bei FIRE-Aspiranten schlecht ankamen . Sie könnte auch wahrscheinlichere Leser ihres neuen Buchs abgeschreckt haben. Gerd Kommer wirkt deutlich bodenständiger. Nichtsdestotrotz hat auch er deutlich gemacht, dass er kein Anhänger des frugalen Lebensstils ist.

Ja, es ist altmodisch, aber besser Vorsicht als Nachsicht

Zurück zum Körnchen Wahrheit. Ich stimme einem Gros der kritischen Kommentare zu. Leute in der FIRE-Community gehen deutlich bewusster mit dem Thema Finanzen um, und planen ihre finanzielle Zukunft langfristiger und durchdachter als der Mainstream. Das ist ja integraler Bestandteil des Konzepts der finanziellen Unabhängigkeit. Wenn es aber um den Teil des Early Retirement und eine realistische Sichtweise auf Risiken geht, bin ich mir manchmal nicht so sicher. Damit meine ich nicht “Black Swan”-Ereignisse. Sondern so profane Wahrheiten wie die, dass die Entwicklung der Gesundheitskosten vermutlich über der Inflationsrate liegen wird.

Mein Eindruck ist, dass diejenigen, bei denen im persönlichen Umfeld schon “Dinge passiert sind” eher mit höheren FIRE-Zahlen operieren, um auf der sicheren Seite zu sein. Wie Bloggerin Tanja von ournextlife.com. Obwohl sie explizit FIRE erreichen wollen, um jetzt und in Zukunft das meiste aus ihrem Leben zu machen. Aber ich habe auch schon viele Kommentare gelesen, wo Leute sich anscheinend von jeder Interpretation von Genügsamkeit, Risikotoleranz und FIRE angegriffen fühlen, die nicht der “Marke” MMM entspricht. Und das sowohl was die Ausgaben- als auch die Verdienstseite alternativer Meinungen angeht. Gut zu erkennen beim Interview mit Todd Tresidder auf ChooseFI, und im MMM-Forum nachdem bekannt wurde, dass die Frugalwoods wohl höhere Gehälter hatten, als aus dem Blog vermutet. Solche Reibungspunkte sind in einer wachsenden Bewegung wohl zu erwarten. Ich glaube aber, dass sie der Sache eher schaden als nützen.

Nein, Suze ist nicht der Teufel – aber nutz sie doch als Advocatus Diaboli

Klar, vielleicht übertreibt es Suze Orman mit den Risiken. Aber warum sehen wir nicht einfach mal über die absurden Zahlen, die Logikbrüche und ihre völlig unpassende Tonalität hinweg. Warum nutzen wir Suzes Monolog oder ähnliche Stimmen nicht, um uns weiter anszuspornen, unsere Zahlen, unsere Risikotoleranz und unsere Checkliste für das Leben nach FIRE wirklich wasserdicht zu machen. Wenn das bedeutet, ein bisschen realistischer zu sein, was die Möglichkeiten angeht, jederzeit zurück in den Job zu können, lieber etwas zu vorsichtig zu sein, oder unser FIRE-Kasse noch etwas mehr zu füllen – na und?

Uns ist doch allen wichtig, JETZT und nach FIRE zufrieden zu leben, oder?  Wenn es etwas länger dauert, das FIRE-Ziel zu erreichen, sollte uns das nicht den Spaß verderben.

Katrin / Financial Independence Rocks.

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