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Geo-Arbitrage in Europa

Geo Arbitrage in Europa

Hast du schon einmal von Geo-Arbitrage gehört? Falls nicht: eigentlich kommt der Begriff Arbitrage aus dem Finanzbereich und bezeichnet das Erzielen von Vorteilen durch unterschiedliche Kurse, Zinssätze oder Preise, die sich zur selben Zeit an verschiedenen Orten ergeben. Auch bei Geo-Arbitrage geht es um das Ausnutzen der Differenz zwischen zwei “Preisen”. Und zwar um die Differenz zwischen dem Einkommen aus einem, und dessen Kaufkraft in einem anderen geographischen Raum. Deshalb der Name “Geo-Arbitrage”.

Geo-Arbitrage ist ein beliebtes Thema in der FIRE-Community. Warum? Bei der Berechnung des Vermögens, das nötig ist, um seinen festen Job aufzugeben, setzen viele auf die 4%-Regel. Dieser Ansatz beruht gleichzeitig auf einem Multiplikator der geschätzten Lebenshaltungskosten. Und daraus ergibt sich die Logik, je niedriger deine Lebenshaltungskosten, desto niedriger auch das benötigte Vermögen. Das ist natürlich für viele attraktiv, die sich am liebsten schon mit 30 aus einem fürs Überleben notwendigen Arbeitsverhältnis verabschieden möchten.

 

Die Lebenshaltungskosten im Griff behalten

Grundsätzlich kannst du deine Lebenshaltungskosten natürlich auch in einem Land wie den USA oder Deutschland niedrig halten. In den USA ist Pete Adeny, der als Mr Money Mustache bloggt, das Paradebeispiel hierfür. Oder noch deutlich extremer, Jacob Lund Fisker, der mit seinem Blog Early Retirement Extreme noch vor Mr Money Mustache unterwegs war.

Es gibt auch deutsche Blogger, die diesen “frugalistischen” Lebensstil propagieren. Zum Beispiel Oliver Nölting auf Frugalisten oder Tim Schäfer auf seinem Blog TimSchaeferMedia. Ich glaube auch, dass man mit sehr wenig materiellen Dingen zufrieden sein kann und nicht zwangsläufig Opfer einer großen Lifestyle-Inflation werden muss. Auch wenn ich auf etwas mehr Balance setzen würde, als die Extrem-Frugalisten. Es gibt aber Kosten, auf die du als Einzelner wenig Einfluss hast, und die nach meiner Einschätzung deutlich schneller steigen werden als die allgemeine Inflation. Das sind unter anderem Kosten im Gesundheitssystem.

 

Überleg dir genau, wann du “aussteigst”

Deshalb bin ich kein Fan der Idee, von einem echten “Retirement” in den Jahren, in denen man sein Einkommen noch stark steigern kann und nach einem möglichen Jobverlust auch leichter wieder einen Job findet als mit 50plus. Ehrlicherweise leben aber auch die wenigsten der FIRE-Blogger wirklich nach der 4%-Formel nur aus ihrem Vermögen: fast alle haben seit ihrem Abschied aus dem Angestellten-Job wieder Tätigkeiten aufgenommen, mit denen sie – teilweise auch ziemlich viel – Geld verdienen. Oder der Partner arbeitet noch, und die Familie ist über ihren oder seinen Arbeitgeber krankenversichert. Das musst du einfach im Hinterkopf haben, wenn du einen Plan für deine finanzielle Unabhängigkeit baust.

Jetzt aber zurück zum Geo-Arbitraging. Kannst du dir vorstellen, eine zeitlang oder auch dauerhaft in einem anderen Land zu wohnen? Wenn du dort schon mit einem niedrigeren Vermögen ein angenehmes Leben finanzieren kannst?

 

Es muss nicht immer Südostasien sein

Klassiker für Geo-Arbitraging in der FIRE-Community – und auch bei digitalen Nomaden – sind Südostasien und Mittelamerika. Aber wenn du in Deutschland oder einem anderen westeuropäischen Land lebst, gibt es vielleicht etwas viel näher liegendes, an das du noch nicht gedacht hast. Und zwar die Länder in Mittel- und Osteuropa, die früher mit der Sowjetunion verbündet waren oder zu Jugoslawien gehörten.

Auf Numbeo kannst du weltweit detaillierte Lebenshaltungskosten in einzelnen Städten miteinander vergleichen. Die Datenqualität scheint mir ziemlich gut zu sein. Dort findest du auch eine aktuelle Übersicht verschiedener Indizes zu den Lebenshaltungskosten in Europa.

 

Vorteil EU

Wenn du Staatsangehöriger eines EU-Landes bist und in ein anderes EU-Land geo-arbitragst (gilt leider nach dem Brexit voraussichtlich nicht mehr für UK-Bürger), ist es besonders einfach. Du hast einen Anspruch auf Zugang zu Krankenversicherung und gegebenenfalls Sozialversicherung. Es kann zwar zuerst etwas hakelig sein, wie ich aus meiner Zeit in Paris weiß, die Systeme sind ja national unterschiedlich. Aber grundsätzlich funktioniert die europäische Zusammenarbeit auf diesem Gebiet.

Ich glaube, dass wir in Europa manchmal unterschätzen, wie cool es eigentlich ist, innerhalb kurzer Distanzen so viele unterschiedliche Länder und Kulturen erleben zu können. Mir fällt es immer auf, wenn Amerikaner begeistert von einer Europareise mit unterschiedlichen Stationen berichten. Wie zum Beispiel Justin von RootofGood im letzten Jahr. Da merke ich immer, was ich alles noch nicht gesehen habe.

 

Plan B: Ein Haus in Ungarn

Wir haben Geo-Arbitrage tatsächlich auch als Plan B auf unserem Weg in die finanzielle Unabhängigkeit eingebaut. Allerdings hat sich das eher zufällig ergeben. 1999 haben wir ziemlich spontan ein Dorfhaus in einem kleinen Ort in Ungarn als Ferienhaus gekauft. Nicht weit vom Plattensee und dem Kurort Heviz entfernt.

Zu dem Zeitpunkt war Ungarn noch nicht in der EU. Und ich erinnere mich mit Grausen an die Wartezeit, die es damals bei der Ein- und Ausreise an der österreich-ungarischen Grenze gab. Auch das ist so ein Punkt, bei dem ich manchmal denke, dass wir die Annehmlichkeiten der EU als zu selbstverständlich hinnehmen.

Kleiner Einblick ins persönliche Nähkästchen: Wer schon mal in der Situation war, dass EIN GESCHÄTZTER MITREISENDER, und nein, es war nicht das Kind 🙂 , sich optimistisch darauf verlassen hat, dass sein Reisepass noch gültig sein müsste – war er doch die letzten Jahre auch immer? – nach 12 Stunden Autofahrt an zwei ungarischen Grenzübergängen abgeblitzt ist, und dann Abends statt ein Gläschen Wein auf der eigenen Terrasse zu genießen, in der Hochsaison am Neusiedler See Hotels abtelefoniert, um spontan irgendwo unterzukommen, weiß danach offene EU-Binnengrenzen SEHR zu schätzen. (Natürlich passierte das an einem Freitag – und am Wochenende hatte das Konsulat in Wien nicht auf. Und natürlich war ausgerechnet dieses Mal meine Schwester dabei, die sich den Einstieg in den Urlaub auch anders vorgestellt hatte…Es ist aber auch um den Neusiedler See sehr schön, am Ende also alles gut).

 

Aktiv-Urlaub der etwas anderen Art

Falls du jetzt denkst, wie bitte, ein Ferienhaus? Das ist doch überflüssiger Luxus? Klar, jeder Zweitwohnsitz ist natürlich Luxus, braucht man nicht. Unsere Idee war damals, neben unserer 2-1/2-Zimmer-Wohnung in der Stadt für die Ferien einen Ort zu haben, an dem man sich mit zwei Erwachsenen und einem Kind etwas besser verteilen kann.

Und zwar zum Preis eines Kleinwagens, eines Betrages, den wir über die Jahre auch für andere Urlaube ausgegeben hätten. Unerwartet hatten auch meine Eltern, die eigentlich wann immer möglich im Urlaub in Frankreich unterwegs waren, Lust das Haus intensiv zu nutzen und Ungarn zu erkunden. Und waren im Gegenzug bereit, ein Drittel zum Kaufpreis beizusteuern, und sich eine zeitlang an Renovierungs- und laufenden Kosten zu beteiligen.

Für das Budget bekam man natürlich auch damals kein neu gebautes Haus. Aber wir haben viel Spaß an der Renovierung und Einrichtung von Immobilien. So haben wir dort jahrelang “Aktiv-Urlaub” gemacht, statt irgendwo am Strand zu liegen. Aber das wäre sowieso nicht unser Ding gewesen.

Erfreulicherweise erinnert sich auch unser Sohn gerne an die Urlaube, obwohl sie komplett unspektakulär waren (hmm, Ausnahme siehe oben. Eine andere war, als auf einer Tagestour nach Budapest unser Auto gestohlen wurde. Glücklicherweise waren zu dem Zeitpunkt meine Schwiegereltern mit ihrem eigenen Auto zu Besuch, die uns zurück mit nach Deutschland nehmen konnten. Ein VW Golf, voll mit fünf Leuten, einem Hund und jeder Menge Gepäck. Auch die Fahrt war eher nicht so der Burner). Da wir in seinem Zimmer ein Etagenbett aufgestellt hatten und unser Auto groß genug war, konnte er immer einen Freund mitnehmen. Das ist für ein Einzelkind natürlich nett.

 

In 20 Jahren hat sich viel getan

Es war spannend, über die Jahre die Weiterentwicklung der Infrastruktur in unserem Gastland mitzubekommen. Ganz am Anfang mussten wir zum nächsten Baumarkt über 100 Kilometer auf die andere Seite des Balaton fahren. Auf dem Parkplatz bei IKEA in Budaörs, kurz vor Budapest, sah es in den ersten Jahren völlig anders aus, als wir es von zuhause kannten. Nicht vollgestopft, sondern nur vereinzelt mal ein Auto. Und unser Sohn hatte im “Smaland” bei den ersten Besuchen zwei Betreuerinnen für sich alleine. Allerdings war das Preisniveau im landesüblichen Vergleich ziemlich hoch, und IKEA damals eher eine typische Anlaufstelle von Expats.

Inzwischen sind obi und Praktiker omnipräsent. Die Autobahnen und Kraftfahrstrassen werden immer weiter ausgebaut und verbunden. In unserem 2000-Seelen-Ort wurden im letzten Sommer Glasfaserkabel verlegt. Also deutlich eher “Internet-an-jeder-Milchkanne” als in Deutschland. Natürlich ist Ungarn flächenmäßig kleiner und viele Projekte sind von der EU mitfinanziert.

 

Unser Plan B

Wir haben ursprünglich überlegt, ob wir das Haus wieder verkaufen sollen, wenn unser Sohn nicht mehr mit uns in Urlaub fährt. Aber da kam Plan B ins Spiel. Als ich mit meinem Langstrecken-Pendel-Job nicht mehr happy war, habe ich gerechnet, wie viel F***-You-Money ich brauche, um die Zeit bis zur Ablösung der noch laufenden Kredite auf unseren vermieteten Wohnungen ohne festes Einkommen überbrücken zu können. (Wir haben die Kredite später aus finanztaktischen Gründen nicht abgelöst, aber das war damaliger Planungsstand).

Ich veranschlage unseren langfristigen Bedarf aus “passivem” Einkommen konservativ, und rechne nicht mit der 4%-Formel. Und deshalb brauchten wir um ruhig schlafen zu können, auch ein Fallback-Szenario, falls das Gehalt meines Mannes wegfällt, bevor wir unser Gesamt-Zielvermögen erreicht haben. Dafür ist das Haus in Ungarn eine ideale Basis: wir könnten in Deutschland unser abbezahltes Haus verkaufen, eine kleine Wohnung mieten, und viel Zeit in Ungarn verbringen. Das würde sofort einen großen Brocken Kapital freisetzen, den wir in einen Welt-ETF investieren könnten. Gleichzeitig könnten wir so unsere Lebenshaltungskosten drastisch reduzieren und brauchten entsprechend weniger Einkommen aus Vermögen.

 

Wir als part-time Homesteader?

Schöner wäre natürlich, wenn die Fall-back-Lösung nicht zum tragen kommen muss. Und wir uns unser Haus so lange als Luxus leisten können, wie wir Spaß daran haben. Meine Eltern haben als Rentner früher im Frühling und Herbst viele Wochen am Stück in Ungarn verbracht. Klassischerweise in Norddeutschland nicht unbedingt Schönwetter-Zeiten. In Ungarn ist es normalerweise schon oder noch wärmer als bei uns. Und es regnet deutlich weniger.

Wenn wir längere Zeit vor Ort wären, könnten wir auch endlich den Garten dort richtig nutzen. Wir haben Obstbäume, und es gibt eine Fläche, um Gemüse anzubauen. Echte Homesteader wie die “Frugalwoods” werden wir glaube ich nicht, siehe auch unser Experiment mit dem Bio-Acker. Aber wer weiß, Tomaten im Hochbeet haben wir ja schon mal hinbekommen.

Nur damit kein falscher Eindruck aufkommt: es gibt auch in Ungarn Dinge, die uns nicht gefallen. Wir sind zum Beispiel mit der aktuellen politischen Lage nicht glücklich. Unsere persönlichen Erfahrungen waren über all die Jahre von Offenheit, Gastfreundlichkeit und Hilfsbereitschaft geprägt. Insofern hoffe ich, dass sich dies auch in Zukunft nicht ändert.  Aber da wir unsere Zelte in Deutschland wahrscheinlich nie komplett abbrechen würden, gäbe es für uns immer einen recht schnellen Weg zurück. Und zwar im wörtlichen Sinne. Auch das ist ein Vorteil von Europa.

Also: vielleicht ist das eine Inspiration für dich, mal über Geo-Arbitraging “vor der eigenen Haustür” nachzudenken?

Katrin / Financial Independence Rocks.

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