Ich optimiere unsere Kosten für Strom und Gas, in dem ich die Verträge jährlich überprüfe und gegebenenfalls den Anbieter wechsele. Diese Möglichkeit wurde in der EU vor über 20 Jahren geschaffen, um für mehr Wettbewerb im Energiesektor zu sorgen. Mehr Wettbewerb = niedrigere Preise für Verbraucher. Gute Idee.
In der Praxis stagnierte die Zahl der Wechselwilligen trotz steigender Preise auch in den letzten Jahren konstant unter 10 Millionen Personen. Und hier liegt wahrscheinlich ein Problem, insbesondere für die seit der Liberalisierung auf den Markt gekommenen Anbieter: sie kämpfen um ein überschaubares Kundenpotential. Neukunden sind King. Doch die Akquise-Kosten sind hoch.
Die falschen Anreize
Wenn du Strom- oder Gaswechsler bist, kennst du das: Der Vertragsabschluss wird mit Sofort-Boni und Treue-Rabatten bei mindestens 12-monatiger Belieferung belohnt. Und auch die Vergleichsportale kassieren ab. Das dicke Ende kommt dann im zweiten Jahr, wenn – zumindest nach meiner Erfahrung – häufig ein Preis fällig wird, der deutlich höher ist als das ursprüngliche Angebot ohne Berücksichtigung der Neukunden-Rabatte. Klar, denn die Bestandskunden müssen die Boni ja erwirtschaften.
Was macht vor diesem Hintergrund ein großer Teil der informierten Verbraucher? Genau, sie schauen rechtzeitig vor Ablauf des Vertrages, ob sie einen günstigeren Anbieter finden und wechseln wieder. Und das Rad der fehlgeleiteten Anreize dreht sich weiter. Ab und zu reißt es einen der Anbieter komplett – mit finanziellen Folgeschäden für die Kunden. Die entsprechenden Schlagzeilen sind abschreckend und erhöhen die Wechselbereitschaft in der Gesamtbevölkerung sicher nicht. Alles nicht im Sinne des Erfinders.
Schufa und Energieversorger: ein Dream-Team?
Aber jetzt könnte sich etwas ändern. Nur leider nicht zum Guten. Zumindest nicht für diejenigen, die weiter von der ursprünglichen Idee der Liberalisierung im Energiesektor mit echtem Preiswettbewerb profitieren möchten.
Anfang September berichtete die Süddeutsche Zeitung (Paywall), danach unter anderem auch Spiegel und Zeit, dass die Auskunfteien Schufa und CRIF Bürgel Datenbanken zur zentralen Datenspeicherung möglichst vieler Energiekunden entwickeln. CRIF Bürgel teilte nach Angaben des Spiegels mit, dass derzeit* kein Datenpool für Energieversorger angeboten würde. Die Schufa bestätigte indirekt einen noch nicht zur Marktreife entwickelten Datenpool, der aber nicht das Ziel habe Vielwechsler zu identifizieren und am Wechsel des Energieversorgers zu hindern.
Nee, liebe Schufa, ist klar, denn das wäre wohl illegal…, für so doof hält euch sicher niemand. (Aber trotzdem habt ihr die Website zu diesem interessanten “E-Pool” gelöscht? Wie schade…)
Ein “Datenpool” impliziert ein Daten-Sharing. So sah es wohl eigentlich auch die Schufa, denn laut Schufa-Zitat im Spiegel hätten die Lieferanten wertvolle Hinweise zum bestehenden Energiekonto und der bisherigen Laufzeit* aus dem “E-Pool” ziehen können. Nach Angaben eines Schufa-Sprechers sollten diese Informationen den Versorgern helfen, auch Verbrauchern ohne ausreichende Bonitätsbewertung einen Vertrag anbieten zu können. Interessante Idee: Dann könnte man sich das Handy, das man aufgrund seines schlechten Schufa-Scores nicht finanziert bekommt, aus dem Neukunden-Bonus des Stromvertrags gönnen?
* meine Betonung
Heute habe ich leider keinen neuen Vertrag für dich
Warum hört sich die Erklärung der Schufa zwar nett an, für mich aber wenig überzeugend? Weil die Schufa nicht für die Schuldner arbeitet, sondern für die Gläubiger. Weil mein fiktives Beispiel oben genau der Vertrags-Fall ist, den sicher keiner der Versorger durch die Nutzung eines kostenpflichtigen Services würde fördern, sondern verhindern wollen. Und weil das die Ausbaustufe zu dem wäre, was Versorger intern offenbar sowieso schon praktizieren.
Wie komme ich darauf? Mir ist vor kurzem etwas Interessantes passiert. Und zwar bei einem Energie-Anbieter, zu dem ich vor einigen Jahren mit unseren Strom- und Gasverträgen gewechselt war. Ich dachte, dass dieses Unternehmen das Konzept der teuren Boni endlich durchbricht. Denn es gab zum Vertrag zwar eine Sachprämie, aber der Wert schien mir deutlich unter den typischen Lockangeboten zu liegen. Fand ich eine gute Idee, und wäre gerne Kunde geblieben. Leider passierte auch dort wieder das gleiche Spiel: Nach einem Jahr sollte der Preis signifikant steigen. Also habe ich gekündigt.
Bei meiner Strom-Recherche in diesem Jahr war der Anbieter wieder im attraktiven Feld. Und da ich mit dem Service grundsätzlich zufrieden war, wollte ich noch einmal dorthin wechseln. Aber der Versorger wollte mich nicht mehr und schickte eine Absage, in der vorsorglich auch direkt stand, dass Energie-Anbieter nicht verpflichtet sind, den Grund für eine Ablehnung zu nennen. Da ich ohne Probleme bei einem anderen Versorger abschließen konnte, kann es nicht an meiner Bonität gelegen haben…
Das gute Recht der Versorger
Jetzt könnte man natürlich sagen: Ist doch das gute Recht des Versorgers, wenn er keine Kunden will, die die Boni mitnehmen, und dann nach einem Jahr wieder kündigen. Ja, das stimmt. Aber ich würde nicht unterstellen, dass alle Wechsler von vornherein nur ein Prämien-Hopping vorhaben.
Das ist bestimmt bei einigen der Fall. Aber sicher nicht bei allen. Denn so simpel der Wechsel ist: es bleibt deutlich bequemer, nicht jedes Jahr Preise und Anbieter zu recherchieren, beim neuen Versorger abzuschließen, gegebenenfalls beim alten Versorger zu kündigen, neue Kunden- und Vertragsnummern zu speichern und so weiter.
Liberalisierungs-Aus durch die Hintertür?
Ich vermute selbst bei Wechselwilligen eine gewisse Preiselastizität. Die “Stickiness” der Verträge könnte gezielt mit Treue-Rabatten gefördert werden, die nicht nur so heißen, sondern sich tatsächlich nach Länge der Kundenbeziehung staffeln. Ähnlich dem Modell der Beitrags-Rückerstattung bei den privaten Krankenkassen. Den Spielraum für Alternativen scheinen die Anbieter mit ihrer Fixierung auf die kostspielige Neukundensubventionierung weitgehend aufgegeben zu haben. Aber das ist eine unternehmerische Entscheidung der Versorger.
Wenn Versorger, die von der durch die Liberalisierung geschaffenen Wechselmöglichkeit der Verbraucher profitieren, sich durch die Hintertür der Risiken des von ihnen geschaffenen Anreizsystems entledigen, läuft etwas falsch. Ein Strom- oder Gas-Anbieter, der weiß, wie lange jemand in den vergangenen Jahren Verträge bei anderen Versorgern hatte, kann aus diesen Daten “Wechsel-Trägheits”-Scorings erstellen. Und damit sein unternehmerisches Risiko asymmetrisch minimieren.
Zurück auf Start?
Das praktische Problem für Verbraucher ist bei einem branchenweit durchgesetzten Modell dieser Art aber noch weit größer.
Da Vertragsfreiheit herrscht und Ablehnungen nicht begründet werden müssen, könnte die Wechselfreiheit mit solch einem Scoring elegant ausgehebelt werden, ohne dass die Politik eingreifen kann: Wem eine deutliche Preiserhöhung in Jahr zwei nicht passt, der kann sich ja auf die Suche nach einem anderen Versorger machen, der ihm einen günstigeren Vertrag anbietet. Den wird ein als “Wechsler” Gescorter aber kaum finden. Dann landet er beim lokalen Versorger, für den als Einziger gesetzlicher Kontrahierungszwang besteht. Und damit da, wo wir vor der Liberalisierung des Energiemarktes waren.
Eine ganz schlechte Idee. Und deshalb umso wichtiger, dass sich der Flirt zwischen der Schufa und den Energieversorgern nicht zu einer leidenschaftlichen Love-Story entwickelt.
Katrin / Financial Independence Rocks!
4 Comments
clemens
October 7, 2020 at 9:35 amEs ist zwar nicht zum Kern des Themas, aber mich wunderte beim Lesen die Aussage, dass Strompreise (marktentkoppelt, überproportional) im 2. Jahr steigen. Das habe ich so noch nie erlebt. Es ist ja gerade der Bonus der den Jahresgesamtpreis drückt – die nominalen Grundpreise und Arbeitspreise jedoch bleiben gleich oder werden abundzu marktüblich/inflationsbedingt angepasst. Im Umkehrschluss lohnt sich das Wechseln nur aufgrund des Bonus – einen günstigeren Tarif findet man deswegen nicht!
Financial Independence Rocks!
October 7, 2020 at 11:13 amHallo Clemens,
danke für Deinen Kommentar. Und freut mich, dass Dir solche Erhöhungen nicht regelmässig passieren.
Tatsächlich habe ich die Erfahrung gemacht, dass es im 2. Jahr praktisch immer eine Erhöhung des Preises pro Kilowattstunde gab, also im Vergleich zum Preis für die Kilowattstunde im ersten Jahr. Die Boni betrachte ich dabei separat und rechne sie nicht auf die Preise um. Ein inzwischen insolventer Anbieter hat sogar während der laufenden Preisgarantie versucht, Kunden zur Zustimmung einer unterjährigen Preiserhöhung, sowohl beim Grund- als auch beim Arbeitspreis, zu drängen. Interessant fände ich, wenn es “marktüblich” würde, dass auch sinkende Einkaufskosten an die Verbraucher weiter gegeben werden…;-)
Clemens
October 8, 2020 at 2:03 pmIch habe tatsächlich bereits Preissenkungen (um genau zu sein: 2) erlebt – die haben zwar meist nicht länger als 6-9 Monate gehalten – aber immerhin es gibt sie also doch 😉
Weil mir dieses Neukundengeschachere aber mittlerweile zuwider ist (auch bei Telekommunikation sehr ausgeprägt) wähle ich eigentlich nur große Anbieter oder regionale Stadtwerke. Ich verzichte dann lieber auf einen hohen Wechselbonus und wähle den günstigeren (Ökostrom-)Vertrag. Dann erspare ich mir auch die Notwendigkeit des jährlichen Wechselns – simple life, happy life 😉
Financial Independence Rocks!
October 8, 2020 at 2:29 pmHallo Clemens,
nett, dass Du noch mal vorbei geschaut hast. Du scheinst ja ein richtig gutes Händchen bei der Auswahl Deiner Versorger zu haben :-), eine Preissenkung hatte ich in dem Bereich noch nie. Dafür gibt’s bei meinem Mobilfunkvertrag (da ist mir der Wechselaufwand auch zu hoch), inzwischen deutlich mehr Leistung für’s gleiche Geld. Und was den Strom angeht, achten wir inzwischen deutlich mehr auf unseren Verbrauch, das ist ja eigentlich sowieso die beste Lösung 🙂 .