Im Sommer haben der Finanzrocker und der Finanzwesir eine Podcast-Folge mit dem Titel Sag nein zum Frugalismus veröffentlicht.
Inspiriert wurden die beiden durch das Buch Die with Zero von Bill Perkins (auf deutsch unter dem Titel Lebe ein reiches Leben statt reich zu sterben erschienen).
Auf den ersten Blick scheint es in Die with Zero tatsächlich um einen sehr anderen Lifestyle zu gehen, als den, der von ‘Frugalisten’ wie Oliver Nölting propagiert wird. Bill Perkins hat zuerst an der Wall Street gearbeitet, und danach als Energy Trader und Venture Capitalist so viel verdient, dass sein Nettovermögen auf über 50 Millionen Dollar geschätzt wird.
Ich würde mich zwar nicht als Frugalist bezeichnen und mag den Begriff auch nicht besonders, weil er mir zu stark mit ‘Kosten senken’ und ‘mit möglichst wenig auskommen’ assoziiert ist. Das trifft nicht alles, was einzelne Verfechter der ‘Frugalismus’-Idee damit verbinden, ist aber der Fluch, wenn man versucht, Komplexität zu reduzieren.
Spontan haben mich die Einblicke in Perkins Finanz Philosophie, über die Albert und Daniel im Podcast diskutieren, aber auch nicht wirklich angesprochen.
Ein Schlüsselerlebnis ist der 45. Geburtstag von Perkins, zu dem er Familie und Freunde aus allen bisherigen Lebensstationen für eine Woche auf die Insel St. Barth in der Karibik einlädt – inklusive Hotelunterbringung, Top-Essen, Privatkonzert der Sängerin Natalie Merchant und der Flügen für viele der Gäste, die sich das Dabeisein sonst finanziell nicht hätten leisten können. Und selbst für Perkins angenehme Vermögensposition war hierfür wohl insgesamt eine von ihm als erheblich wahrgenommene Entnahme notwendig.
Der Autor beschreibt dieses Event als Investition in einmalige Erinnerungen – seine eigenen, aber auch die der Gäste – und das trifft mit Sicherheit auch zu. Solchen ‘Erinnerungs Dividenden’ schreibt Perkins einen höheren Wert zu als reinem Konsum. Auch da würden die meisten ihm wahrscheinlich zustimmen. Trotzdem konnte ich mich nicht des Eindrucks erwehren, dass der Wert von Erinnerungen in Perkins Finanz Philosophie doch ziemlich direkt mit dem Preis der Erlebnisse korreliert. Und damit mit einem materialistischeren Denken, als das Stichwort ‘Erlebnis’ erst einmal suggeriert.
Ein zweiter Punkt, über den ich nachgedacht habe: Ergibt sich die hohe Erinnerungs Dividende eines so glamouröses Events wie Perkins 45. Geburtstag für den Gastgeber-Investor wirklich nur daraus, dass alle eine tolle gemeinsame Zeit haben, die sie nie wieder vergessen werden? Oder spielen da auch noch andere Faktoren mit?
Du kannst ja mal ein Gedankenexperiment machen: wenn du Spaß daran hättest und es dir leisten könntest, einen deiner Geburtstage genauso zu feiern, würdest du das auch machen? Ja, klar, oder? Warum auch nicht.
Aber wären die ‘Erinnerungs-Dividenden’ für dich persönlich genauso viel wert, wenn deine Gäste sich danach zwar für immer an eure gemeinsame Woche erinnern würden, aber nicht daran, dass du es warst, der sie eingeladen hat? Oder noch extremer: wenn deine Gäste unwiederbringlich davon überzeugt wären, dass jemand, den du wirklich nicht magst, euch alle dorthin eingeladen und dieses einmalige Event bezahlt hat?
Ich muss zugeben, dass ich unter Investment Aspekten mit hoher Wahrscheinlichkeit bei der zweiten Variante aussteigen, oder zumindest weniger investieren würde – der subjektive Wert wäre für mich nicht derselbe, obwohl der Unterschied objektiv ausschließlich in den anderen läge (ich selber würde mich ja ‘richtig’ erinnern). Und ich hätte den Verdacht, dass es bei Perkins ähnlich wäre.
Warum?
Sobald es nicht nur um uns als Individuen geht, sondern um uns innerhalb von Beziehungsgeflechten mit anderen Menschen, greifen gruppenbezogene psychologische Mechanismen. Wir scheinen als soziale Wesen so geprägt zu sein, dass uns auf der einen Seite unser Ruf innerhalb der Gruppe existenziell wichtig ist, und wir auf der anderen Seite sehr sensibel auf ‘trittbrettfahren’ und ‘mogeln’ reagieren. Und diese Effekte fließen, oft unbewusst, mit in unsere Urteile und Entscheidungen ein.
Aber vielleicht sagst du jetzt: Nö, für mich würden die Varianten aus dem Gedankenexperiment überhaupt keinen Unterschied machen.
Dann würde ich dich challengen, mal zu überlegen, ob du eine solch glamouröse Geburtstagsfeier an sich einfach gar nicht erstrebenswert findest – also die Art wie das gemeinsame Erlebnis ausgestaltet ist.
Meine erste Reaktion auf die Schilderung des Geburtstags-Events war: dafür muss man doch nicht nach St. Barth fliegen, das hätte man auch in den USA organisieren können.
Und vielleicht wäre es sogar lustiger und entspannter gewesen, wenn sich alle in einer low-key Destination getroffen hätten. Vielleicht hätten die Gäste, die sich die teuren Flüge nicht leisten konnten, den Aufenthalt noch mehr genossen, wenn Ihnen der Unterschied in den finanziellen Möglichkeiten nicht so vor Augen geführt worden wäre.
Wäre es nicht genauso einmalig gewesen, für alle eine Jugendherberge in einem Nationalpark anzumieten, und zusammen die Gegend zu erkunden? Abends gemeinsam zu kochen und bis in die Nacht am Lagerfeuer zu sitzen? Und hätte man das übrige Geld dann nicht spenden können?
Das ist alles nicht falsch.
Aber wessen Maßstab lege ich da eigentlich an?
Es kann genauso gut sein, dass sich viele der Gäste genau wegen des Glamours besonders wertgeschätzt gefühlt haben. Die Gleichung ‘teurer = besser’ ist nicht zusammenhanglos. In der Regel ist teurer, was begehrter ist. Weil es absolut begrenzt ist, oder weil es relativ mehr Nachfrage als Angebot gibt. Und warum sollte es nicht erstrebenswert sein, sich etwas Besonderes, Teures zu leisten – oder dazu eingeladen zu werden?
Der Preis macht etwas nicht automatisch faktisch ‘besser’. Er macht es aber auch nicht automatisch moralisch ‘schlechter’.
Bei Perkins Ansatz geht es technisch um eine Investition, um die Überlegung, wofür man sein Geld ausgibt, um eine möglichst hohe persönliche ‘Verzinsung’ zu erhalten. Und die hängt vom eigenen Wertesystem ab, davon, was einem im Leben wichtig ist.
Hierin unterscheidet sich Perkins dann auch gar nicht mehr von Moustachians oder Frugalisten.
Und deshalb hat mir das Buch besser gefallen, als ich nach dem Podcast ursprünglich dachte. Es ist ein Plädoyer dafür, den Aufbau von Vermögen nicht als Selbstzweck zu betrachten. Und sich bewusst damit zu beschäftigen, in was die Lebensenergie, die man in das Geld verdienen gesteckt hat, wieder zurück verwandelt werden soll.
Es geht um die Balance aus Vermögen als Sicherheit – um nicht ‘Zero’ zu erreichen, bevor man stirbt – und bestmöglicher Verwertung der in Vermögen verwandelten Lebensenergie in Einklang mit den eigenen Werten.
Wie Perkins selber sagt also eigentlich das Gegenstück – oder vielleicht besser, eine gute Ergänzung – zu Joe Dominguez und Vicki Robins Buch You’re Money or Your Life: ‘Getting All You Can from Your Money and Your Life’.
Auch wenn mein idealer Lifestyle wahrscheinlich nicht so aussieht wie der von Bill Perkins, hat mich Die with Zero an vielen Stellen zum Nachdenken angeregt – das Buch ist aus meiner Sicht also auf jeden Fall lesenswert.
Katrin / Financial Independence Rocks.
No Comments